Eine bisher strittige Frage war, wie lange der Neusiedler See bereits existiert. Weil es keine zuverlässigen Anhaltspunkte gab, schwankten die Schätzungen zwischen tausenden und Millionen Jahren. Wissenschaftler*innen von vier österreichischen Universitäten ist es jetzt in einer gemeinsamen Anstrengung gelungen, das Alter des Neusiedler Sees auf ungefähr 25.000 Jahre einzugrenzen.
Stephanie Neuhuber vom Institut für Angewandte Geologie der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, unter deren Federführung die Untersuchung stattfand, zeigt sich über dieses Alter, passend zum Höhepunkt der letzten Eiszeit, überrascht, da es damals eigentlich besonders trocken war. Der Zeitpunkt wurde durch Radiokohlenstoff-Datierung von im Seewasser gebildeten Karbonat-Mineralen, die sich im Schlamm am Seegrund abgesetzt haben, bestimmt.
Der Beitrag der Forschungsgruppe Isotopenphysik der Universität Wien war die Radiokohlenstoff-Altersbestimmung mit dem Teilchenbeschleuniger VERA der Fakultät für Physik. Wegen der besonderen Art der Probe musste das Verfahren speziell entwickelt werden musste. Im Gegensatz zu den üblicherweise datierten archäologischen Fundstücken wie Holz und Knochen sind die Karbonat-Minerale winzige Körnchen, wobei die kleinsten erst vor geologisch kurzer Zeit gebildet wurden, und die größten über Jahrtausende zur jetzigen Größe herangewachsen sind. Durch die geringe Tiefe des Neusiedler Sees haben vom Wind angetriebene Wellen alle Körnchen durchmischt. Geolog*innen haben Verfahren, um die Körnchen nach der Größe zu sortieren, der damit verbundene Aufwand erlaubt allerdings nur sehr kleine Proben der einzelnen Korngrößen. Peter Steier von der Gruppe Isotopenphysik hat Radiokohlenstoff-Methoden besonders für so kleine Proben entwickelt: "Die Herausforderung dabei ist nicht nur, diese winzigen Proben zu hantieren, ohne sie zu verlieren, sondern auch, dass die kleinste Verunreinigung das Ergebnis völlig verfälschen würde. Alle Prozessschritte müssen so durchgeführt werden, dass kein Staub oder keine unreinen Materialien in Kontakt mit der Probe kommen können." Das höchste Alter wurde an Sedimenten nahe der Stadt Jois gefunden, die gar nicht mehr unter der derzeitigen Wasserfläche liegen. Der See war damals offensichtlich deutlich größer.
Um ein zuverlässiges Alter zu bestimmen, war eine Vielzahl weiterer Messungen nötig, die von allen beteiligten Gruppen durchgeführt wurden. Sedimentgeologische Analysen der Seesedimente und paläohydrologische Rekonstruktion des Sees wurden durch Susanne Gier, Patrick Meister und Erich Draganits am Institut für Geologie der Universität Wien durchgeführt. Die Interpretation der Daten war erst durch fächerübergreifende Zusammenarbeit möglich. Über die Altersbestimmung hinaus gelang es auch, neue Erkenntnisse zum geologisch wichtigen Prozess der Bildung von Karbonat-Sedimenten zu gewinnen. "Als Physiker freute es mich, dass wir ein weiteres Steinchen zur geologischen Geschichte Österreichs hinzufügen konnten", meint Peter Steier.
Originalpublikation:
S. Neuhuber, S. Gier, E. Draganits, P. Steier, M. Bolka, F. Ottner, C. Spötl, D. Hippler, P. Meister. Radiocarbon ages of microcrystalline authigenic carbonate in Lake Neusiedl (Austria) suggest millennial-scale growth of Mg-calcite and protodolomite. Sedimentology (2024) (doi: 10.1111/sed.13161).