Vorhersage von Wiener Theoretikern zu Ringpolymeren unter Scherung von US-Wissenschafter*innen experimentell bestätigt

03.11.2020

Maximilian Liebetreu, Doktorand an der Fakultät für Physik und Mitglied der Vienna Doctoral School of Physics, hat ein starkes Interesse an Ringpolymeren und dem Zusammenspiel zwischen Hydrodynamik und der ringförmigen Topologie dieser Moleküle.

Gemeinsam mit seinem Betreuer Christos Likos und in Zusammenarbeit mit Marisol Ripoll vom Forschungszentrum Jülich hat Max durch Theorie und Simulation im Jahr 2018 entdeckt, dass bei der Scherbelastung von Ringpolymeren der Rückfluss des Lösungsmittels und die Ringtopologie zu einem bis dahin nicht festgestellten und von keinen anderen Polymeren bekannten Polymerverhalten führen: ein Anschwellen des Rings in der Richtung senkrecht sowohl zum Strömungs- als auch zum Geschwindigkeitsgradienten - die so genannte Vorticity-Richtung, die dem von ihnen entdeckten Phänomen einen Namen gibt: Vorticity Swelling. Die Gutachter*innen von der Gültigkeit ihrer damaligen Simulationsergebnisse zu überzeugen, war keine leichte Aufgabe, wie sich die Autor*innen des Artikels lebhaft erinnern: Das Phänomen war neu und unerwartet, und es ist eine gesunde Praxis in der Wissenschaft gegenüber Neuheitsansprüchen skeptisch zu sein. Die Beweise aus Theorie und Simulation waren jedoch stark genug, das Papier wurde akzeptiert und seit seiner Veröffentlichung gut zitiert. [M. Liebetreu, M. Ripoll, and C. N. Likos, "Trefoil Knot Hydrodynamic Delocalization on Sheared Ring Polymers", ACS Macro Letters 7, 447-452 (2018). DOI: 10.1021/acsmacrolett.8b00059]

Der ultimative Traum von Theoretiker*innen ist jedoch nicht die bloße Verbreitung ihrer Ergebnisse, sondern vielmehr ihre experimentelle Bestätigung (manchmal kann sogar die Widerlegung derselben intellektuell lohnend sein, aber dies ist eine ganz andere Geschichte). Charles Schroeder von der University of Illinois in Urbana-Champaign und sein Team sind führende Experimentalphysiker*innen im Bereich der Einzelpolymerdynamik, welche die direkte Beobachtung individueller Polymermoleküle in Nicht-Gleichgewichtsströmungen ermöglicht. In Kollaboration mit Rae Robertson-Anderson von der University of California San Diego verwendeten die US-Wissenschaftler*innen durch Fluoreszenz markierte DNA-Ringe und bauten einen maßgeschneiderten Scherströmungsapparat, um die Formen und Konformationen von Ringpolymeren unter Scherströmung im Detail zu analysieren - genau denselben Aufbau, den die Wiener Theoretiker zwei Jahre zuvor simuliert hatten. Zur großen Freude der Letztgenannten, bestätigte das Experiment, dass Vorticity Swelling in der Realität tatsächlich vorkommt: Ringe unter Scherbelastung verhalten sich in der Realität genau wie in der Theorie vorhergesagt [M. Tu, M. Lee, R. M. Robertson-Anderson, and C. M. Schroeder, "Direct Observation of Ring Polymer Dynamics in the Flow-Gradient Plane of Shear Flow", Macromolecules, in press (2020). DOI: 10.1021/acs.macromol.0c01362].

In fortsetzenden Arbeiten gingen Liebetreu und Likos noch weiter und sagten eine Phase der vollen Dehnung des Rings bei Schergeschwindigkeiten voraus, die sogar noch höher waren als die experimentell getesteten, ein Phänomen, das als hydrodynamische Inflation bezeichnet wird. [M. Liebetreu and C. N. Likos, "Hydrodynamic inflation of ring polymers under shear", Communications Materials 1, 4 (2020). DOI: 10.1038/s43246-019-0006-5] Ob dies auch experimentell bestätigt wird, bleibt im Moment eine offene Frage. Das Wechselspiel zwischen Experiment und Theorie und die spontane, von Neugierde getriebene Kommunikation zwischen Wissenschaftler*innen auf der ganzen Welt, die durch ihr Streben nach Erkundung und Verständnis motiviert sind, bleibt auf alle Fälle einer der lohnendsten Aspekte wissenschaftlicher Tätigkeit.

Gemitteltes Flussfeld des simulierten Lösungsmittels in Fluss-Vortizitätsebene um das Polymer. Farbkodierung zeigt Beträge der Geschwindigkeiten an, während Flusslinien Aufschluss über die Richtung geben. Wir zeigen die typische Konfiguration eines Polymerrings, um die Position des Rings relativ zum Flussfeld zu verdeutlichen (© Christos Likos)