Selten, radioaktiv und unbekannt

27.11.2019

Technetium ist ein wichtiger Marker in der Nuklearmedizin, doch über seine Eigenschaften weiß man wenig. Das soll sich durch neue Nachweismethoden ändern. Karin Hain aus der Gruppe Isotopenphysik forscht dazu in einem vom FWF geförderten Projekt.

Es ist ein Exot unter den Atomen. Betrachtet man das Periodensystem der Elemente, tanzt das mit „Tc“ abgekürzte Technetium in vielen Darstellungen aus der Reihe, meist ist es farblich hervorgehoben oder schraffiert. Aus gutem Grund: Es ist das einzige Element in seiner Periode, das radioaktiv ist und in der Natur praktisch nicht vorkommt. Daher auch sein Name, das von dem griechischen Wort für „künstlich“ abgeleitet wurde – Technetium war 1937 das erste menschgemachte Element.

„Die Besonderheit dieses chemischen Elements ist, dass es kein stabiles Isotop hat“, erklärt die Physikerin Karin Hain von der Universität Wien. „Es kommt daher in der Natur praktisch nicht vor, in der Erdkruste findet man es nur dort, wo Kernspaltung stattfindet, etwa in sehr uranhaltigen Erzen. Aber auch dort ist Technetium nur in Spuren enthalten, insgesamt schätzt man das weltweite Vorkommen auf nur 90 Tonnen.“

Das bisschen Technetium, das sich überirdisch in der Biosphäre findet, stammt hauptsächlich von den atmosphärischen Kernwaffentests aus den 1950er- und 1960er-Jahren und aus den Wiederaufbereitungsanlagen für Brennstäbe aus Atomkraftwerken. Doch auch menschliche Ausscheidungen tragen – wenn auch wenig – Technetium in die Natur: Das Element ist der am häufigsten verwendete Marker für die Diagnose von Krebs, Schilddrüsenerkrankungen oder Gefäßverengungen. Da es sich gut an Antikörper koppeln lässt, aufgrund seiner Strahlung ein scharfes Bild liefert und vom Körper schnell ausgeschieden wird, ist es bei Medizinern beliebt.

„In diesem Bereich nimmt der Durchsatz von Technetium weiter zu – das ist ein Grund dafür, dass wir sein Verhalten in der Umwelt besser verstehen wollen“, beschreibt Hain eine Motivation für ihre Forschung. Die Physikerin entwickelt in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt spezielle Nachweismethoden für das radioaktive Element, von dessen chemischen und physikalischen Eigenschaften man bisher nur wenig weiß. „Viele Fragen sind noch offen: Was passiert mit dem Technetium, wenn es freigesetzt wird? Wie breitet es sich aus, kann es sich irgendwo anreichern? Wie mobil ist es, und wie gut löst es sich in Wasser? Das ist alles sehr schlecht untersucht, weil dieses Element so selten und schwer nachweisbar ist.“

Mit Ladung durchs Magnetfeld

Um Technetium – genauer gesagt sein häufigstes Isotop mit der Massenzahl 99 – nachweisen zu können, sind bisher aufwendige Methoden notwendig, erklärt Hain. „Letztlich braucht es dazu eine Form der Massenspektrometrie, wir zählen also in einer Probe die Teilchen, die genau die Masse 99 haben. Dazu werden die Teilchen vorher mit elektrischer Ladung versehen und durch gekrümmte Magnetfelder geschossen. Je nach Masse werden sie dann unterschiedlich abgelenkt.“

Das Problem dabei: Die schwachen Signale der seltenen Technetium-Ionen werden von Molekülen und Ruthenium-Isotopen mit derselben Masse überlagert. „Um dieses Problem zu umgehen, benötigen wir einen großen Teilchenbeschleuniger vor dem Massenspektrometer. Der garantiert uns, dass alle Moleküle in ihre einzelnen Atome aufgebrochen werden und zudem das Ruthenium-Signal genügend unterdrückt wird, um Technetium-99 eindeutig zu identifizieren.“

Derzeit gibt es weltweit aber nur zwei Anlagen, die das schaffen. Das will Hain ändern: Mit ihrem Team arbeitet sie an einem speziellen Laser-Aufbau, der vor den Beschleuniger eingebaut wird. „Wenn man den Laser richtig einstellt, könnte er theoretisch die störenden Elemente aus der Probe neutralisieren und ausfiltern. Dann könnte man auch mit einem kleineren Beschleuniger, wie wir ihn an der Uni Wien haben, arbeiten und globale, flächendeckende Untersuchungen vornehmen.“

Mit einer solchen Technik wären auch weit über die Physik hinausgehende Untersuchungen möglich: „Technetium-99 könnte etwa zur Bestimmung von Meeresströmungen eingesetzt werden. Denn durch die Emissionen von Wiederaufbereitungsanlagen, beispielsweise im britischen Sellafield, hätten wir zum ersten Mal konkrete Orts- und Zeitinformationen, anhand derer wir die Nordatlantikströmungen nachvollziehen können – was wiederum Aufschluss über das Schmelzen der Polkappen und den Klimawandel geben könnte“, so Hain. Zunächst müssten dafür aber die physikalischen Grundlagen der Messmethode geklärt werden, betont die Physikerin. Bis man flächendeckend messen könnte, sei noch viel Entwicklungsarbeit nötig.

Durch den Laser-Vorbau eines Teilchenbeschleunigers soll Technetium bald auch an der Uni Wien nachgewiesen werden. (© Isotopenphysik)