Derartige Grenzflächen finden sich in der Natur beispielsweise im Permafrost. Ihre Ergebnisse können dazu beitragen, Veränderungen in gefrorenen Böden bei steigenden Temperaturen besser zu verstehen.
Für Eis wurde bereits im 19. Jahrhundert von Michael Faraday das sogenannte "Grenzflächenschmelzen" postuliert: Bereits unterhalb des eigentlichen Schmelzpunktes, also 0 °C, bildet sich an der freien Oberfläche ein dünner, durch die Grenzfläche hervorgerufener Flüssigkeitsfilm. Wissenschaftler*innen um Markus Mezger, Professor in der Gruppe Dynamik Kondensierter Systeme haben dieses Phänomen nun an Grenzflächen zwischen Eis und Tonmineralen genauer untersucht.
Interessant ist dieser Effekt in der Natur vor allem bei Permafrostböden - also Böden, die dauerhaft gefroren sind. Zirka ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel sind davon bedeckt. Diese setzen sich aus einer Mischung von Eis und anderen Materialien zusammen. Durch Verwitterung von Tonmineralen entstanden über geologische Zeiträume mikroskopisch dünne Plättchen. Ähnlich wie in einem Schwamm kann viel Wasser in die engen Schlitzporen zwischen den dünnen Plättchen eindringen, dort gespeichert werden und gefrieren. Daher liegt hier sehr viel Kontaktfläche zwischen Eis und Tonmineralen vor. Pro Gramm Tonmineral liegen ca. 10 Quadratmeter Oberfläche vor! Dies bedingt bereits unterhalb 0 °C einen vergleichsweisen hohen Anteil flüssigen Wassers in der grenzflächeninduzierten Schmelzschicht.
Die Forschenden haben nun untersucht, wie schnell sich die Wassermoleküle in der dünnen Schmelzschicht an der Grenze zwischen Eis und Tonmineral bewegen. Dieser als "Selbst-Diffusion" bezeichnete Wert ist direkt mit der Zähigkeit (Viskosität) verknüpft. Für drei verschiedene Minerale konnte gezeigt werden, dass die Viskosität des Wassers in der grenzflächeninduzierten Schmelzschicht teilweise deutlich oberhalb derer gewöhnlichen Wassers liegt - die Moleküle sich also nur eingeschränkt bewegen können, da die Schicht zähflüssiger ist. Diese Ergebnisse können dabei helfen, verschiedene Phänomene in Zukunft besser zu verstehen, wie beispielsweise die mechanische Stabilität von Permafrost, den Transport von Pflanzennährstoffen und Schadstoffen sowie geochemische Reaktionen wie beispielsweise Ionenaustauschprozesse an Eis/Mineral-Grenzflächen.
Für ihre Experimente haben die Wissenschaftler*innen mit Partnern an den Forschungsreaktoren der TU München sowie des Instituts Laue-Langevin in Grenoble, Frankreich, zusammengearbeitet. Die in den dortigen Reaktoren erzeugten Neutronen treffen mit einer bestimmten Geschwindigkeit auf der Probe auf. Ähnlich wie bei einem Ball, der von einem sich auf ihn zubewegenden Fahrzeug mit höherer Geschwindigkeit zurückspringt, lassen Geschwindigkeitsmessungen der an der Probe gestreuten Neutronen Rückschlüsse auf die Bewegung der Wassermoleküle in der grenzflächeninduzierten Schmelzschicht zu.
Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift "Angewandte Chemie" veröffentlicht.
Mit ihren Experimenten können Wissenschaftler*innen nun die in Permafrostböden ablaufenden Prozesse an der Grenzschicht zwischen Eis und Tonmaterial besser verstehen.
Zusätzliche Informationen:
https://doi.org/10.1002/anie.202013125
Kontakt:
Univ.-Prof. Markus Mezger
Dynamik Kondensierter Systeme
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