Quantenverschränkung misst Erdrotation

14.06.2024

Ein Forschungsteam unter der Leitung von Philip Walther an der Universität Wien hat in einem bahnbrechenden Experiment die Auswirkungen der Erdrotation auf quantenverschränkte Photonen gemessen. | Neue Publikation in "Science Advances".

Quantenverschränkte Photonen reagieren auf den Spin der Erde

Ein Forschungsteam unter der Leitung von Philip Walther an der Universität Wien hat in einem bahnbrechenden Experiment die Auswirkungen der Erdrotation auf quantenverschränkte Photonen gemessen. Die Arbeit, die soeben in Science Advances veröffentlicht wurde, stellt einen bedeutenden Erfolg dar, der die Grenzen der Rotationsempfindlichkeit von verschränkungsbasierten Sensoren erweitert und möglicherweise die Grundlage für weitere Forschungen an der Schnittstelle zwischen Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie bildet.

Optische Sagnac-Interferometer sind die empfindlichsten Geräte für Rotationsmessungen. Seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts sind sie für das Verständnis der grundlegenden Physik von zentraler Bedeutung. Durch ihre hohe Sensitivität trugen diese experimentellen Werkzeuge schon vor über hundert Jahren etwa zur Begründung von Einsteins spezieller Relativitätstheorie bei. Heute sind sie aufgrund ihrer unvergleichlichen Präzision das ultimative Instrument zur Messung von Rotationsgeschwindigkeiten, das nur durch die Gesetzmäßigkeiten der klassischen Physik begrenzt wird.

Interferometer, die mit Quantenverschränkung arbeiten, haben das Potenzial, diese Grenzen zu sprengen. Liegt zwischen zwei oder mehreren Quantenteilchen eine Verschränkung vor, so ist nur ihr Gesamtzustand bekannt, während der Zustand der einzelnen Teilchen bis zu einer Messung unbestimmt bleibt. Diese Tatsache kann dazu genutzt werden, um mehr Information pro Messung zu erhalten, als dies ohne Verschränkung möglich wäre. Der versprochene Quantensprung in der Messempfindlichkeit wurde jedoch bisher durch die fragile Natur der Verschränkung behindert. Um diese Hürde zu umgehen, kam beim Experiment der Forschungsgruppe ein sehr stabiler und auf optischen Glasfasern basierender Sagnac-Interferometer mit einer effektiven Fläche von mehr als 700 Quadratmetern zum Einsatz. Auf diese Weise konnten genügend hochwertige verschränkte Photonenpaare beobachtet werden, um die Präzision der Rotationsmessung früherer quantenoptischer Sagnac-Interferometer um das Tausendfache zu übertreffen.

Beim Sagnac-Effekt kommen zwei Teilchen, die sich vom selben Startpunkt in entgegengesetzte Richtungen einer rotierenden, geschlossenen Kurve bewegen, zu unterschiedlichen Zeiten am Ausgangspunkt an. Bei zwei verschränkten Teilchen, wie sie in diesem Experiment verwendet wurden, wird es spukhaft: sie verhalten sich wie ein einziges Teilchen welches beide Richtungen gleichzeitig testet. Da es sich hier um einen sehr kleinen Effekt handelt, mussten die Forscher*innen die Länge ihrer zwei Kilometer langen Glasfasern, welche auf einer riesigen Spule aufgewickelt wurden, auf etwa ein Zehntel eines Nanometers konstant halten. Dies entspricht einer Längenänderung von circa einem Millimeter bei der durchschnittlichen Distanz der Erde zur Sonne.

Um die Auswirkung der Erdrotation auf quantenverschränkte Photonen zweifelsfrei zu messen, brauchten die Forscher*innen aber auch einen Vergleichswert - also das Verhalten der Photonen ohne den Einfluss der Erdrotation. "Wir können die Erdrotation aber natürlich nicht stoppen, einen guten Vergleichswert zu bekommen, war also eine echte Herausforderung. Wir haben die Glasfaser in zwei gleich lange Spulen aufgeteilt und diese über einen optischen Schalter miteinander verbunden", erklärt der Hauptautor Raffaele Silvestri von der Universität Wien. Durch den Schalter wurde es möglich, die Rotationsrichtung nach Belieben auf der Hälfte des Weges umzukehren, sodass die Teilchen unabhängig vom tatsächlichen Rotationszustand immer zeitgleich am Ausgangspunkt ankommen. "Wir haben dem Licht im Grunde genommen vorgegaukelt, dass es sich in einem nicht rotierenden Universum befindet", so Silvestri.

Mit dem Experiment, das im Rahmen des von der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften getragenen Forschungsnetzwerks TURIS durchgeführt wurde, konnten die Forscher*innen erfolgreich den Effekt der Erdrotation auf einen maximal verschränkten Zwei-Photonen-Zustand beobachten. Dies bestätigt die Wechselwirkung zwischen rotierenden Bezugssystemen und Quantenverschränkung, wie sie in Einsteins spezieller Relativitätstheorie und der Quantenmechanik beschrieben wird, im Vergleich zu früheren Experimenten mit tausendfacher Präzision. "Das ist ein bedeutender Meilenstein - ein Jahrhundert nach der ersten Beobachtung der Erdrotation mit Licht hat die Verschränkung einzelner Lichtquanten endlich die gleichen Empfindlichkeitsbereiche erreicht", sagt Haocun Yu, die als Marie-Curie-Postdoktorandin an diesem Experiment gearbeitet hat. "Ich glaube, dass unser Ergebnis und unsere Methodik den Grundstein für weitere Verbesserungen der Rotationsempfindlichkeit von verschränkungsbasierten Sensoren legen werden. Dies könnte den Weg für zukünftige Experimente ebnen, die das Verhalten der Quantenverschränkung durch die Kurven der Raumzeit testen", fügt Gruppenleiter Philip Walther von der Universität Wien hinzu.

Originalpublikation: Experimental Observation of Earth's Rotation with Quantum Entanglement. R. Silvestri, H. Yu, T. Strömberg, C. Hilweg, R. W. Peterson, P. Walther. Science Advances, 2024. DOI: 10.1126/sciadv.ado0215

Arbeitsgruppe Quantenoptik, Quantennanophysik und Quanteninformation
Forschungsteam von Philip Walther

 

 

Sagnac Interferometer, gebaut mit 2 Kilometern Glasfasern, die um einen 1,4 Meter großen quadratischen Aluminiumrahmen gewickelt sind. (© Raffaele Silvestri)

Das Experiment wurde so dargestellt, dass die Forscher*innen ein Faser-Sagnac-Interferometrie-Schema innerhalb eines Vergrößerungseinschubes zeichnen, ausgehend von einer lokalen Position (Wien, Österreich) der rotierenden Erde. Zwei ununterscheidbare Photonen treffen auf einen Strahlteilerwürfel, verschränken sich miteinander und werden dann im Faserinterferometer gekoppelt. © Marco Di Vita (Autor der Bilder)