emer. o. Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Stangler (1928 - 2020)

27.05.2020

Die Fakultät trauert um Herrn emer. o. Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Stangler, der am 23. Mai 2020 im 93. Lebensjahr verstorben ist.

Ferdinand Stangler wurde am 11. Mai 1928 in Wien geboren. Sein Vater war Musiker bei den Wiener Symphonikern. Kindheit und Jugend waren geprägt von der schwierigen Zwischenkriegszeit und der darauffolgenden Zeit des Zweiten Weltkriegs. Noch während der Gymnasialzeit musste er zur Heimatflak in Wien einrücken. Mit viel Glück, Mut und Entschlossenheit überstand er das Kriegsende in Wien und konnte im Mai 1946 als Schüler des akademischen Gymnasiums mit Auszeichnung maturieren.

Ab Herbst 1946 folgte ein sehr erfolgreiches Physikstudium an der Universität Wien. Er lernte noch Felix Ehrenhaft kennen, besuchte Vorlesungen bei Karl Przibram und wurde Karl Lintner als Dissertant zugeteilt. Das Thema war: „Eine Apparatur zum Betrieb von luftgefüllten Geigerzählern“, wo der junge Stangler sein handwerkliches und wissenschaftliches Geschick zeigte. Neben seiner Tätigkeit begann er, aus Interesse und Hilfsbereitschaft mit seinen besonderen Talenten zum Gelingen manch anderer Dissertation beizutragen und so frühzeitig wichtige Fähigkeiten eines künftigen Hochschullehrers zu entwickeln. Nach der Promotion fand er im November 1952 endlich eine halbe Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft im II. Physikalischen Institut bei Prof. Erich Schmid. Auf Grund seines experimentellen Talents konnte er die Sekretärsstelle zugunsten der Tätigkeit als Schmids Vorlesungsassistent aufgeben. Auch die Leitung des Vorgeschrittenenpraktikums wurde ihm übertragen. Ein erster Auslandsaufenthalt erfolgte bei Prof. Möllenstädt in Tübingen, wo Stangler eine Elektronenbeugungsanlage baute. Die Habilitationschrift erschien 1962: „Einfluß von Punktdefekten auf die Elektronenstruktur von Kupfer und Aluminium“. Schon im Jahr 1961 erhielt Stangler den Felix-Kuschenitz-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Stangler ließ sich nie durch widrige Bedingungen davon abhalten, das, was ihm gut und richtig erschien, mit ungewöhnlichem Einsatz und Zuversicht einfach zu tun, auch ohne formalen Rückhalt. So gelang es ihm, noch im Habilitationsstadium in der Boltzmanngasse 5 die Ermöglichung eines Zubaus für ein Tieftemperaturphysik-Laboratorium mit eigenen Verflüssigungsmaschinen im Innenhof der physikalischen Institute durchzusetzen. Eine leistungsfähige Stickstoff- und eine Luftverflüssigungsmaschine waren Grundausstattung. 1970 wurde die Vollausbaustufe durch eine Heliumverflüssigungsanlage mit einer Produktion von 10 Litern pro Stunde erreicht. 1971 erfolgte die Ernennung zum Ordinarius.

Mit zahlreichen Selbstbaukryostaten, insbesondere mit Verdampferkryostaten für elektronische Transportexperimente zwischen 3 K und Raumtemperatur, erschloss Stangler eine Vielfalt neuer Forschungsmöglichkeiten. Plastische Verformung, elektrischer Widerstand, Hall-Effekt, Supraleitung bei Einkristallen, Thermoelektrizität von Metallen und Legierungen wurden in einem großen Temperaturbereich untersucht. Dank seines technischen Geschicks führte er alle Service- und Wartungsarbeiten mit Unterstützung seiner Mitarbeiter selber durch. Die laboreigene Werkstätte und alle Räume wurden auch mit Hilfe einer eigenen Bediensteten stets blitzblank sauber gehalten.

Zahlreiche Dissertanten, Diplomand*innen, Lehramtsstudierende und Teilnehmer*innen des Tieftemperatur-Praktikums waren von der Gemeinsamkeit des Stangler’schen Labors stets begeistert. Zudem trugen die lebhaften Vorlesungen Stanglers mit zahlreichen selbst vorgeführten Experimenten zu dessen Beliebtheit unter den Studierenden bei. Nahezu in jeder Vorlesung verstand er es, die hehre Physik anschaulich zu machen und mit praktischer Lebenserfahrung zu verknüpfen und so außer dem Wissen auch eine Haltung weiterzugeben.

In seinen Ämtern als Vorstand des Instituts für Festkörperphysik (1989 – 1991) und als Prädekan, Dekan (1983 – 1985) und Prodekan der philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät agierte er ausgleichend und glättete stets die Wogen, die im Wettstreit der verschiedenen Kräfte entstanden. Ein Fakultätsausflug ins Museum Eggenburg führte dazu, dass er ein Hobby, das sich kontinuierlich seit den Kriegstagen entwickelt hatte, in erstaunlichem Umfang einsetzte: er restaurierte sämtliche Uhren des Museums und richtete ein eigenes Uhrenzimmer dort ein. Auch im Museum Mödling restaurierte er die Uhren und leitete für rund vierzehn Jahre die Geschicke des Museumsvereins Mödling am Josef-Deutsch-Platz und organisierte dort auch viele Benefizveranstaltungen bis zuletzt. Stangler erhielt dafür in Mödling das Ehrenzeichen für Kunst und Kultur.

Eine besondere Leitlinie seines Lebens aus tiefster innerer Überzeugung heraus war sein lebendiges persönliches Interesse für die unterschiedlichsten Menschen, die ihm begegneten und seine besondere Hilfsbereitschaft. Und als zweites durchgehendes Charakteristikum seine Entschlossenheit, mit Zuversicht auch bei widrigen Bedingungen und ohne Rücksicht auf formale Zuständigkeiten das zu tun, was ihm gut und richtig erschien und dafür die volle Verantwortung zu tragen.

Die enge Verbundenheit mit Stangler über viele Jahrzehnte kam immer wieder zum Ausdruck, auch darin, dass seine zahlreichen Absolvent*innen, Kolleg*innen und Mitstreiter*innen sich immer wieder organisierten, um ihm zu Ehren runde Geburtstage zu feiern oder seine Benefizveranstaltungen zu besuchen. Wir behalten Prof. Stangler als einen begeisterten und begeisternden Physiker, geschickten und kunstvollen Handwerker und Experimentator und äußerst verständnisvollen und liebenswerten Menschen in bleibender Erinnerung.

 

Wien, am 26.05.2020
Franz Sachslehner und Viktor Gröger

emer. o. Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Stangler