Wie Feinstaub aus Schadstoff-Gasen entsteht

15.05.2020

Forscher*innen fanden heraus, dass Salpetersäure- und Ammoniak-Dämpfe zur Bildung von Feinstaubpartikeln beitragen. Die hohe Konzentration beschleunigt das Wachstum winziger Nanopartikel zu stabilen Aerosolpartikeln rasant.

In urbanen Ballungszentren führen hohe Konzentrationen von Feinstaub zu erheblichen Beeinträchtigungen der Gesundheit. Besonders in den Wintermonaten ist die Situation in vielen asiatischen Mega-Cities dramatisch, wenn Smog die Sichtweite stark reduziert und das Atmen schwerfällt. Feinstaubpartikel, deren Durchmesser kleiner als 2,5 Mikrometer ist, entstehen vorwiegend direkt durch Verbrennungsprozesse zum Beispiel in Kraftfahrzeugen oder Heizungen. Man spricht hier von primärem Feinstaub. Darüber hinaus entsteht Feinstaub auch in der Luft als sekundärer Feinstaub, indem sich Gase aus organischen Substanzen, Schwefelsäure, Salpetersäure oder Ammoniak an winzige Nanopartikel anlagern. Dadurch wachsen Partikel heran, die einen Teil des Feinstaubs bilden. Rätselhaft war bisher, wie sich sekundäre Feinstaubpartikel in den Straßenschluchten von Mega-Cities neu bilden können. Denn eigentlich sollten sich die winzigen Nanopartikel eher an die reichlich vorhandenen größeren Partikel anlagern als neue Feinstaubpartikel zu bilden.

Am Teilchenbeschleuniger CERN in Genf haben Wissenschafter*innen im internationalen Atmosphären- Forschungsprojekt CLOUD jetzt in einer Klimakammer Bedingungen nachgestellt, die in den Straßen von Mega-Cities herrschen, und die Entstehung sekundären Feinstaubs nachgestellt: In den Straßenschluchten einer Stadt kommt es zu einer lokalen Erhöhung von Schadstoffen. Die Ursache für die ungleichmäßige Verteilung der Schadstoffe sind einerseits die hohen Schadstoffemissionen auf Straßenniveau. Andererseits dauerte es einige Minuten, bis sich die Straßenluft mit Luft aus der Umgebung vermischte. Dies führt dazu, dass sich die beiden Schadstoffe Ammoniak und Salpetersäure in der Straßenluft kurzzeitig stark anreichern. Die hohen Konzentrationen – wie die CLOUD-Experimente zeigten – schaffen Bedingungen, unter denen die beiden Schadstoffe an Nanopartikel kondensieren können: An wenige Nanometer großen Kondensationskernen bildet sich Ammoniumnitrat und lässt diese Partikel rasch anwachsen.

Rasantes Wachstum
"Wir haben beobachtet, dass diese Nanopartikel innerhalb weniger Minuten sehr rasch anwachsen. Sie wachsen teilweise einhundert Mal schneller, als wir dies bisher von anderen Schadstoffen kennen, wie zum Beispiel von Schwefelsäure", erläutert der Klimaforscher Joachim Curtius von der Goethe-Universität Frankfurt. "In urbanen Ballungszentren leistet der von uns beobachtete Prozess damit einen wichtigen Beitrag zur Bildung von Feinstaub im Wintersmog. Denn der Prozess läuft nur bei Temperaturen von weniger als etwa plus fünf Grad Celsius ab". Der Aerosolphysiker Paul Winkler von der Universität Wien erklärt dazu: "Bei wärmeren Bedingungen sind die Teilchen zu flüchtig und könnten daher keinen Beitrag zum Wachstum liefern." Die Bildung von Aerosolpartikeln aus Ammoniak und Salpetersäure tritt vermutlich nicht nur in Städten und Ballungsgebieten auf, sondern auch gelegentlich in höheren Luftschichten der Atmosphäre. Ammoniak, das hauptsächlich in der Landwirtschaft entsteht, gelangt durch aufsteigende Luftströmungen aus bodennaher Luft in die obere Troposphäre, und Salpetersäure entsteht durch Blitze aus dem Stickstoff der Luft. "Es bilden sich bei den dort herrschenden niedrigen Temperaturen neue Ammoniumnitratpartikel, die als Kondensationskeime bei der Wolkenbildung eine Rolle spielen", verdeutlicht der Ionenphysiker Armin Hansel von der Universität Innsbruck die dadurch auch bestehende Klimarelevanz des Forschungsergebnisses.

CLOUD-Experiment
Das Experiment CLOUD (Cosmics Leaving OUtdoor Droplets) am CERN in der Schweiz untersucht, wie neue Aerosolpartikel in der Atmosphäre aus Vorläufergasen gebildet werden und weiter zu Kondensationskeimen wachsen. Damit liefert CLOUD ein grundlegendes Verständnis zur Entstehung von Wolken und Feinstaub. CLOUD wird von einem internationalen Konsortium – bestehend aus 21 Instituten – durchgeführt. Die CLOUD-Messkammer wurde mit CERN-Know-how entwickelt und erreicht bedeutend besser definierte Messbedingungen als andere vergleichbare Experimente. Bei CLOUD-Messkampagnen wird mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Messgeräten der physikalische und chemische Zustand der Atmosphäre bestehend aus Teilchen und Gase charakterisiert. Das Team um Joachim Curtius vom Institut für Atmosphäre und Umwelt der Goethe-Universität Frankfurt entwickelt und betreibt im CLOUD-Projekt zwei Massenspektrometer, um Spurengase wie den Ammoniak und Schwefelsäure auch bei kleinsten Konzentrationen nachzuweisen. An der Fakultät für Physik der Universität Wien entwickelt das Team um Paul Winkler im Rahmen eines ERC-Projektes ein neues Partikelmessgerät, mit dem speziell die Aerosoldynamik im relevanten Größenbereich von 1 bis 10 nm quantitativ untersucht werden kann. Armin Hansel vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck entwickelte mit seinem Forschungsteam im Rahmen eines FFG-Projektes ein neues Messverfahren (PTR3-TOF-MS) um die Spurengase beim CLOUD Experiment noch empfindlicher zu analysieren.

Publikation in Nature:
Wang, M., Kong, W., et al.: Rapid growth of new atmospheric particles by nitric acid and ammonia condensation. Nature, May 2020.
DOI: 10.1038/s41586-020-2270-4

Am Teilchenbeschleuniger CERN in Genf haben Wissenschafter*innen im internationalen Atmosphären- Forschungsprojekt CLOUD in einer Klimakammer Bedingungen nachgestellt, die in den Straßen von Mega-Cities herrschen. (© Neil M. Donahue)