Antrittsvorlesung Stefan Fredenhagen: Raum und Zeit verstehen

13.04.2018

Stefan Fredenhagens Arbeit beginnt dort, wo Quanten und Schwerkraft in der Theorie aufeinandertreffen. Seit 2016 leitet der theoretische Physiker die Gruppe für mathematische Physik an der Universität Wien. Sein Tipp für Studierende: Verständnis kommt durch Übung.

Unsere vergleichsweise kleine Erde und das unendliche All haben in Stefan Fredenhagen früh die Begeisterung für Wissenschaft geweckt. Der Wunsch zu begreifen, was hinter dem Erfahrbaren liegt, begleitete ihn schon zu Schulzeiten in Hamburg. Nicht zuletzt durch die Schule sammelte er auch seine ersten Erfahrungen an der Universität: Ein Förderprogramm für mathematikbegabte SchülerInnen hätte aus dem heutigen Physiker beinahe einen Mathematik-Studenten gemacht.

Obwohl der "gute Mathematiklehrer" und das Elternhaus – Fredenhagens Vater ist ebenfalls Professor der Physik, seine Mutter Lehrerin für Physik und Mathematik – die Studienwahl erleichterten, war es erst das Studium selbst, das seine Entscheidung für die Physik festigte: "An der Universität ist man plötzlich mit vielen Leuten zusammen, die ähnliche Interessen haben", blickt Fredenhagen zurück und resümiert: "Mein Studium war eine erfüllende Zeit."

Praxis sammeln in der Theorie


Schnell stellte er fest, dass er sich in der Theoretischen Physik eher zu Hause fühlt als in der Experimentalphysik. In jeder Abschlussarbeit wurde er ein Stückchen formaler, in seiner Doktorarbeit widmete er sich schließlich komplett den abstrakten Theorien. Kurz nach seinem Doktorat entschied sich Stefan Fredenhagen abermals für die Forschung. Von Potsdam ging er nach Paris, um seine Forschungstätigkeit weiterzuentwickeln. "Es war ein herausfordernder Schritt, aus der Obhut des Doktorandenseins auszubrechen", erzählt Fredenhagen.

Dass die Entscheidung für die Wissenschaft richtig war, zeigte sich auch nach seiner Rückkehr an das Max-Planck-Institut in Potsdam, wo er in Folge als wissenschaftlicher Mitarbeiter zehn Jahre lang Erfahrungen in Forschung und Lehre sammelte. Als der Wunsch nach einer dauerhaften Stelle wuchs, entdeckte der Forscher passenderweise die Ausschreibung der Professur für mathematische Physik an der Universität Wien. "Die Gelegenheit haben wir sofort ergriffen", berichtet Fredenhagen von der Entscheidung, mitsamt seiner Familie nach Wien zu ziehen – eine neue Stadt mit einem Stück Vertrautheit: Fredenhagens Urgroßmutter stammte aus Wien und hat dem gebürtigen Hamburger u.a. ein Rezept für Vanillekipferl hinterlassen, nach dem in seiner Familie noch heute gebacken wird.

Die großen Fragen stellen …

Seit 2016 baut Fredenhagen in Wien seine Forschungsgruppe auf, die den großen Fragen nach Raum und Zeit auf den Grund geht. "Es gibt derzeit keinen theoretischen Rahmen, der Quantenphysik und Gravitation gemeinsam beschreibt – das wollen wir ändern", erklärt Fredenhagen. Er selbst widmet sich den Higher-Spin Theorien, einer Erweiterung klassischer Gravitationstheorien. Dabei ist nicht nur physikalisches, sondern auch mathematisches Fachwissen gefragt. Eine Kombination, die für den Wissenschafter schon immer zusammengehörte: "In der Physik finde ich die mathematischen Strukturen am interessantesten. Viele Dinge, die man sich nicht vorstellen kann, z.B. die Krümmung einer vierdimensionalen Raumzeit, kann man mathematisch beschreiben." 

Die Faszination für das Fach Physik will er auch StudienanfängerInnen mitgeben. Fredenhagen begleitet sie, wenn aus den einstigen SchülerInnen innerhalb weniger Wochen Studierende werden: "In meiner ersten Vorlesung vor Erstsemestrigen habe ich mich vorne hingestellt und 'Guten Morgen' gesagt, dann kam aus hundert Mündern 'Guten Morgen' zurück. Das haben sie leider nur einmal gemacht", schmunzelt der Physiker.

… und kleine Schritte machen

Zur Vorbereitung auf seine Grundlagenvorlesungen greift Fredenhagen auf Unterlagen aus seiner eigenen Studienzeit zurück. "Ich schaue mir an, wo ich Fragezeichen hingemalt habe, wenn ich etwas nicht gleich verstanden habe", erzählt der Wissenschafter. Dadurch erinnere er sich auch, wie schwer es fallen kann, physikalische Konzepte oder mathematische Strukturen beim ersten Mal zu verstehen. Regelmäßig üben und sich nicht entmutigen lassen, das sind seine Tipps an StudienfängerInnen: "Jede/r ist einmal verwirrt – das ist normal. Der Kopf muss sich erst daran gewöhnen, in abstrakten Strukturen zu denken."

Für Fredenhagen sind abstrakte Denkmuster heute Teil seiner täglichen Arbeit: "Ich kann nicht jeden Tag sagen 'Heute will ich verstehen, was Raum ist'. Darüber zerbrechen sich ForscherInnen seit etlichen Jahren den Kopf. Aber ich kann jeden Tag versuchen, etwas dazu beizutragen." (pp)

Univ.-Prof. Dipl.-Phys. Dr. Stefan Fredenhagen von der Fakultät für Physik hält am 27. April 2018 um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien seine Antrittsvorlesung "Von Quanten und Gravitation zu Strings und höheren Spins".

Stefan Fredenhagen ist seit 2016 Professor für mathematische Physik an der Universität Wien. (© Stefan Fredenhagen)